Ostersonntag 10.20 Uhr: Gedenken an die Bombardierung von Zerbst vor 72 Jahren - Ein Zeitzeuge erinn
Ostersonntag 10.20 Uhr: Gedenken an die Bombardierung von Zerbst vor 72 Jahren - Ein Zeitzeuge erinnert sich
Völlige Ruhe herrscht am Ostersonntag gegen 10.20 Uhr auf dem Zerbster Heidetorfriedhof. Zu hören ist nur das Läuten der Kirchenglocken. Zu dieser Zeit flogen amerikanische Bomberverbände, vor 72 Jahren, nur wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, am 16.April 1945 Luftangriffe auf das einstige Rothenburg des Nordens - so der damalige Beiname von Zerbst - und legten die Stadt in Schutt und Asche. Mehr als 570 Menschen sterben.
von Thomas Kirchner
Zerbst.I Neben Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD), Wilfried Bustro (CDU), Vorsitzender des Stadtrates, weiteren Stadtratsmitgliedern, Alt-Bürgermeister Helmut Behrend (FDP), Dietmar Krause (CDU), Landtagsmitglied in Sachsen-Anhalt, Kees de Vries (CDU) Mitglied des Bundestages und Vertreter der Kirchen, sind auch zahlreiche Zerbster zu der Gedenkstunde auf den Heidetorfriedhof gekommen. Myra van Campen-Bálint, ehemalige Konzertmeisterin der Anhaltischen Philharmonie Dessau, bebleitet die Gedenkveranstaltung musikalisch mit der Violine.
"Auch 72 Jahre danach sind die Erinnerungen wach und wir tun gut dran, diese Erinnerungen als unsere eigene Geschichte und Verpflichtung für die Zukunft zu begreifen", mahnt Bürgermeister Andreas Dittmann in seiner Gedenkrede. "Wenn wir uns die Opfer und Verluste jenes Tages im April 45 in Erinnerung rufen, dann dürfen wir das nicht ohne das Wissen um Ursache und Wirkung tun", so Dittmann weiter.
Es sei erstens der Stadtkommandant gewesen, der trotz Übergabeauf-forderung die Stadt nicht frei gab. Es sei aber vor allem Hitler-Deutschland gewesen, das zunächst Europa und später die ganze Welt in einen bis dahin ungeahnten Krieg riss. Es sei Hitler-Deutschland gewesen, das anfing, den Bombenterror in europäische Städte zu tragen. Es sei die Nazi-Doktrin der verbrannten Erde gewesen, die unsere Stadt zum Ziel eines militärisch unsinnigen Bombardements machte, erinnerte das Stadtoberhaupt an Hitlers Größenwahn.
Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD)
hält die Gedenkrede.
Foto: Thomas Kirchner
"Ich war damals 12 Jahre alt, es war einfach nur furchtbar", erzählt mir der heute 84jährige Günter König, ein Zeitzeuge der damaligen Geschehnisse, der seit 1954 in Berlin lebt und mit dem ich am Rande der Gedenkveranstaltung zufällig ins Gespräch komme. Wenige Tage vor dem Luftangriff habe man ihn und viele andere in nahegelegene Dörfer, Günter König nach Deetz, einem kleinen Ort nahe Zerbst evakuiert.
"Wir sahen die anfliegenden Bomber und mussten von weitem zuschauen, wie Flammen und dicker Rauch über Zerbst aufstiegen. Sogar die Erschütterungen der explodierenden Bomben waren bis ins 12 Kilometer entfernte Deetz zu spüren", schildert der Rentner bewegt.
Als er wenige Tage nach dem Angriff in die Stadt zurückkehrte, sei er erschüttert gewesen. Kaum ein Stein stand mehr auf dem anderen. Noch immer loderten Flammen, ganze Straßenzüge voller Schutt und Rauch. "Mein Vater war unter den Freiwilligen, die die vielen Toten bargen und weg schafften, er hatte sich freiwillig gemeldet. Irgendwer musste es ja machen", erinnert sich Günter König. Später habe er in Zerbst noch eine Tischlerlehre absolviert und ist dann 1954 nach Berlin gegangen. "Ich bin über Ostern zu Besuch bei Verwandten in Zerbst. Das ist für mich die Gelegenheit heute hier der Zerstörung meiner Heimatstadt und der vielen Toten zu gedenken", ist Günter König sichtlich bewegt.
Günter König erlebte den Bombenhagel
damals in Deetz. Foto: Thomas Kirchner
Bis zur Zerstörung am 16. April 1945 bot die Zerbster Altstadt ein geschlossenes historisches Stadtbild mit Gebäuden aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, insbesondere viele Fachwerk- und Renaissancebauten. Vollkommen zerstört und danach abgetragen wurden unter anderem das Rathaus, als Backsteinbau im 15. Jahrhundert errichtet, die meisten Bürgerhäuser auf der Ost- und Westseite des Marktes, am Hohen Holzmarkt und Fischmarkt, der größte Teil der Fachwerkhäuser in der Altstadt, darunter die Hofapotheke mit Portal von 1676, die Ratsapotheke von 1610, der Hauptflügel mit Turm und der Westflügel des Zerbster Schlosses. Nahezu die gesamte Innenstadt ist zerstört. Nur einzelne Häuser überstehen den Bombenhagel.
Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) (rechts) und Wilfried Bustro (CDU), Vorsitzender des Stadtrates (links) legen einen Kranz nieder. Foto: Thomas Kirchner
"Wenn wir nach Helden suchen, dann werden wir sie vor allem unter den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt finden. Jene, die trotz aller Verluste, menschlicher wie auch wirtschaftlicher, den Wiederaufbau unserer Stadt in die Hand genommen haben. Jene Frauen, die noch am 15. April versuchten, die Sperre am Frauentor einzureißen", verwies der Dittmann auf die Verdienste der Zerbster.
Dass der Wiederaufbau einer ganzen Stadt eine Aufgabe für mehr als nur eine Generation sei, haben wohl inzwischen alle begriffen. Die Rückschau auf das was war, sei wichtig, aber sie sei nicht alles. Wenn wir immer nur zurück blicken und feststellen, wie schön früher alles gewesen sei und dabei ausblenden, unter welchen Bedingungen der Wiederaufbau erfolgte, würden wir denen Unrecht tun, die in den vergangenen 72 Jahren diese Stadt, unsere Stadt wieder entstehen ließen und auch künftig weiter entwickeln, stellt Dittmann den Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft her.
Die fast völlig zerstörte Zerbster Innenstadt - Ewige Mahnung. Foto: alt-zerbst.de
Das Erinnern an den 16. April 1945 hat aber noch eine andere Komponente.
Dieser Tag stehe für ein ganz konkretes Erleben von Krieg und Terror und seinen Folgen. Wie gehen wir damit um? "Die Bundeswehr ist in einer Vielzahl von Auslandseinsätzen eingebunden. Das Wort Krieg bestimmt den täglichen Nachrichtenüberblick", verweist der Bürgermeister auf die aktuelle politische Lage.
Krieg sei ein Thema, das uns nicht nur an so einem Gedenktag, sondern tagtäglich und ganz aktuell vielfach begegnet. Menschenrechte würden dabei meist nur in solchen Fällen problematisiert, wo deren Verletzung anzuprangern keine wirtschaftlichen Interessen stört oder es politisch opportun sei.
Die Massaker in Syrien seien unerträglich und müssten auch so benannt werden. Das Aufheizen der Situation um Nordkorea sei für uns alle aber genauso gefährlich, wie der beinahe tägliche Terror in Europa oder die Entwicklungen in der Türkei, bei der es sich immerhin um einen Bündnispartner der NATO, also auch Deutschlands handele.
Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) (links) und Wilfried Bustro (CDU), Vorsitzender des Stadtrates (rechts) gedenken schweigend der Opfer. Foto: Thomas Kirchner
"Aus all diesen Gründen ist es wichtig, jedes Jahr an den 16. April 1945 und seine Ursachen zu denken. Wir schulden es den Opfern jenes furchtbaren Tages in dieser Stadt, wir schulden es den Opern des Naziregimes und wir schulden es den kommenden Generationen", mahnte Andreas Dittmann noch einmal abschließend.
Die vollständige Gedenkrede des Bürgermeisters finden Sie hier...
Zerbst im Wandel der Zeit - In Gedenken an den 16.April 1945...