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Lebensretter: Mit Leidenschaft rund um die Uhr im Einsatz


Wenn sie ausrücken, ist Eile geboten. Doch immer wieder wird Rettungskräften die Arbeit allzu schwer gemacht. Herzinfarkt, Treppensturz oder Verkehrsunfall: Wenn der Rettungsdienst ausrückt, zählt jede Sekunde. Und nicht selten geht es um Leben und Tod. Mit welchen Widrigkeiten die Retter täglich zu kämpfen haben und wie sie damit umgehen, was sie sehen und erleben, darüber haben sie mit Volksstimme-Redakteur Thomas Kirchner gesprochen. Zerbst l Mehr als 50 000 Sanitäter sind deutschlandweit im Einsatz – 36 davon in der Zerbster und Deetzer Rettungswache. Ebenso wie Polizei, Feuerwehr, die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) oder das Technische Hilfswerk (THW) sind sie unentbehrlich in unserer Gesellschaft. Und trotzdem: Verkehrsteilnehmer machen keinen Platz, bilden keine Rettungsgasse, Gaffer behindern Rettungskräfte bei Unfällen, Fotografieren, Notfallsanitäter werden angepöbelt, wenn der Krankenwagen im Einsatz eine Straße blockiert.

Immer neue Attacken gegen Rettungskräfte in Deutschland sorgen für Empörung. Denn unsere Gesellschaft würde ohne dieses Engagement nicht funktionieren. Viele Helfer arbeiten ehrenamtlich, schieben Nachtschichten und Wochenenddienste. Sind sich viele Menschen nicht bewusst, dass es ihre Lieben sein könnten: der Ehemann, die Ehefrau, Vater, die Mutter, Schwester, Bruder oder der beste Freund, zu denen die Retter – wahrscheinlich nicht umsonst – mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs sind?

Auch das gehört dazu: Mehr als sein halbes Leben hat Manfred Picht (Bildmitte) für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) im Rettungsdienst gearbeitet. Im November 2019 feierte der Zerbster nun seinen 70. Geburtstag. Natürlich sind neben der Familie, Freunde und Bekannte auch Kollegen gekommen, um dem Jubilar die besten Glückwünsche zu überbringen. Außerdem überreichte Helko Weißmüller (2.v.l.), Leiter der Zerbster Rettungswache, Manfred Picht eine Ehrenurkunde und Medaille des Kreisverbandes des DRK „Für hervorragende Leistungen im Dienst am Menschen“. Und noch etwas haben seine Kollegen durch etwas Internet-Recherche herausgefunden und auch gleich auf die Urkunde geschrieben: „Manfred Picht ist mit seinen 70 Jahren wohl einer der erfahrensten und ältesten noch im Arbeistverhältnis stehende Rettungssanitäter Deutschlands.“ Und wer jetzt denkt, dass Manfred Picht nun mit 70 Jahren seinen wohlverdienten Ruhestand genießen würde, der irrt gewaltig. Denn bis Juni 2020 will er noch mit dem Rettungswagen ausrücken, um anderen Menschen zu helfen. Dann hat er 50 Dienstjahre geschafft.

Wie eine Studie der Uni Bochum vom vergangenen Jahr zeigt, wurde jede vierte Rettungskraft in Nordrhein-Westfalen Opfer körperlicher Gewalt. Das Spektrum von Gewalt gegen Einsatzkräfte ist sehr vielfältig und breit gefächert: Vom fehlenden Verständnis für erforderliche Absperrungen bis zu dem stark alkoholisierten Patienten, der nicht mehr erkennt, dass die Rettungswagen-Besatzung ihm nur helfen will.

„Solche Situationen halten sich hier bei uns Gott sei Dank in Grenzen“, sagt Andreas Thiemicke. Sicher seien sie auch schon angepöbelt und beleidigt worden, so Thiemicke und wird konkret: „Wir standen mit dem Rettungswagen (RTW) und eingeschaltetem Blaulicht in der Mühlenbrücke und ein Lkw-Fahrer kam nicht aus der Kaufland-Lieferzone. Arschlöcher und Vollpfosten, so hat er uns wohl genannt.“ Wirkliche Eskalationen habe es bislang nicht gegeben. Da seien manche Verkehrteilnehmer das größere Problem.

Auch Übungen stehen regelmäßig auf dem Programm, wie hier eine Großübung (Waldbrand mit Verletzten) gemeinsam mit der Feuerwehr nahe Nedlitz im Juli 2017.

„Was wir täglich auf den Straßen erleben, ist teilweise haarsträubend“, sagt Christian Reich. Es gebe Autofahrer, die sich regelrechte Rennen mit den Einsatzfahrzeugen liefern. Brenzlige Situationen seien an der Tagesordnung. Reich nennt ein Beispiel: „Wir fahren mit Blaulicht und Sondersignal zu einem Einsatz. Etwas weiter vor uns zwei Fahrzeuge. Der erste Fahrer hat die Situation erkannt, setzt den Blinker und fährt rechts ran. Der Autofahrer in der Mitte hat offenbar nicht mitbekommen, dass sich von hinten ein RTW nähert und setzt an, um das vor ihm anhaltende Auto zu überholen. Indessen befinden wir uns aber ebenfalls schon im Überholvorgang. So etwas kann natürlich schnell in einer Katastrophe enden“, sagt der Rettungssanitäter.

„Die Rückspiegel sind nicht nur zum Schminken da oder komplettieren das Auto nicht nur. Hin und wieder sollte man sie auch nutzen, um zu sehen, was hinter mir passiert“, ergänzt Andreas Thiemicke. Viele Autofahrer seien einfach überfordert oder ängstlich, wenn sich Einsatzfahrzeuge nähern. Sie kämen dann auf die dümmsten Ideen. „Da wird dann so angehalten, dass zwei Fahrzeuge nebeneinander stehen und der RTW nicht durchkommt. Da wird bei Gegenverkehr langsam vor uns hergefahren“, zählt Thiemicke auf. Richtig sei, Blinker oder Warnblinker setzen, so sieht der Fahrer des RTW, dass die Autofahrer die Situation erkannt haben – und rechts ranfahren.

Der Notarzt wird zu einem Brand nach Dobritz gerufen.

„Oder Chaos an der Kreuzung. Wir versuchen, uns mit Blaulicht und Martinshorn einen Weg zwischen den Autos hindurch zu bahnen. Das Problem: Einige fahren ein Stück nach rechts, andere nach links, und manche bewegen sich gar nicht“, beschreibt Christian Reich. Das läge auch daran, dass Autofahrer mitunter nicht die Gesamtsituation im Auge hätten und beispielsweise vor einer roten Ampel stehend nicht über die Haltelinie fahren würden. „Fährt aber das erste Fahrzeug nur ein Stück weit nach vorne und zur Seite, was in diesem Fall erlaubt ist, können alle anderen nachziehen und es entsteht schnell eine Rettungsgasse“, so Reich.

Vielen Verkehrsteilnehmern scheine nicht klar zu sein, dass es hier nicht selten um Leben oder Tod geht. „Das Rettungsdienstgesetzt schreibt vor, dass wir in zwölf Minuten am Einsatzort sein müssen“, sagt Klaus Eiserbeck. Ob diese Frist eingehalten werde, hänge nicht selten auch von anderen Verkehrsteilnehmern ab. „Trotz aller Widrigkeiten: in der Regel schaffen wir das“, betont Helko Weißmüller, Rettungsdienstleiter in Zerbst. „Allerdings spielen da einige Faktoren eine Rolle“, gibt Klaus Eiserbeck zu bedenken.

Hier müsse man berücksichtigen, dass es beispielsweise in der Zerbster Klinik keine Fachabteilungen für Gynäkologie, Urologie oder keine Kinderklinik gibt. „Mit solchen Notfällen fahren wir nach Dessau, Burg, Coswig oder Magdeburg und sind teilweise über Stunden unterwegs“, schildert Eiserbeck. Würden dann mehrere Notrufe eingehen und der Deetzer RTW beispielsweise nach Steutz geschickt, würde es problematisch werden.

Und die Einsätze selbst? Wie gehen die Retter mit Verkehrstoten um, wenn Kinder betroffen sind oder gar Verwandte und Freunde? Für einen Moment wird es still im Aufenthaltsraum. „Ja, wie gehen wir damit um? Da hat jeder so seine eigenen Methoden und Rituale“, sagt Christian Reich. Das Wichtigste sei, nichts in sich hineinzufressen, zu versuchen alleine klarzukommen.

Eine ganz besondere Situation für alle Einsatzkräfte sind Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang, wie hier im November 2017 zwischen Zerbst und Bone. Erst recht, wenn der Verunglückte bekannt ist.

„Reden, auswerten ist das Wichtigste – zuhause mit dem Partner, mit den Kollegen, mit Freunden. Natürlich gehen wir bei Außenstehenden nicht ins Detail, aber muss man auch gar nicht“, so Reich. Er war 2017 gleich bei zwei Unfällen kurz hintereinander im Einsatz, wo die Retter nicht mehr helfen konnten. „Ich fahre dann allein noch einmal zur Unfallstelle. Halte inne, denke nach, lasse Revue passieren. Das hilft mir“, schildert Christian Reich.

Andreas Thiemicke geht dann gern zu seinem Nachbarn und Freund. „Er ist quasi ein Kollege und auch vom Fach. Da lässt es sich schon noch leichter über schwierige oder Einsätze reden, bei denen wir nicht mehr helfen konnten“, so Thiemicke.

„Wichtig ist, dass man nach solch einem Einsatz nicht alleine ist“, sagt Philipp Koch, der auch bei der Zerbster Feuerwehr aktiv ist. Ihm sei es schon so ergangen. „Nach einem Einsatz mit tödlich Verletzten zwischen Zerbst und Lindau saß ich hier alleine mit meinem Kaffee und hatte keinen Gesprächspartner. Das war eher Zufall und keine Absicht, aber eben keine so schöne Situation“, erinnert sich Koch.

Aus wenn das Foto vielleicht etwas anderes vermuten lässt, ging dieser Unfall im November 2019 in der Zerbster Breiten Straße für die Autoinsassen relativ glimpflich aus, sie wurden leicht verletzt.

Er hat vor allem Angst davor, zu Verwandten, Freunden oder Bekannten gerufen zu werden oder wenn diese Personen in Unfälle verwickelt sein könnten. „Das ist keine schöne Vorstellung. Aber passieren kann das natürlich schon“, weiß Philipp Koch. Christian Reich, Andreas Thiemicke und Klaus Eiserbeck sind beispielsweise mit dem RTW nicht dort unterwegs, wo sie wohnen – und das mit Bedacht. „Wenn der Pieper ertönt, Namen und Adressen von Verwandten, Bekannten oder Freunden erscheinen, dann kann es ganz schnell emotional werden“, sind sich die Männer einig. Dem wollen sie, so weit es möglich ist, entgehen. „Wenn man mehr als zehn Jahre an einem Ort arbeitet, kennt man natürlich auch hier einige Leute“, sagt Christian Reich. Dennoch sei das nicht das Gleiche.

Die wohl häufigste Anlaufstelle der Retter ist die Notaufnahme der Zerbter Klinik.

Und dann sind da noch die Einsätze, für die sie eigentlich gar nicht zuständig sind. „In der Regel sollen sich Patienten mit nicht so akuten Erkrankungen an den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst wenden (116117). „Doch es kommt schon vor, dass die Diensthabenden die Leute abwimmeln und sagen, sie sollen den Notruf wählen“, erklärt Reich und ergänzt: „So beschäftigen nicht nur wir uns, sondern auch die Klinikmitarbeiter – salopp gesagt – mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit.“

Die Patienten wüssten um die Probleme und riefen mit Absicht die 116117. „Doch häufig geht nicht einmal jemand ans Telefon, und wenn doch, hören die Anrufer nicht selten die abwimmelnde Aussage, dass ist nichts für uns, rufen sie den Rettungsdienst“, ärgern sich die Frauen und Männer.

Aber trotz mancher Widrigkeiten sind sie alle samt Retter aus Leidenschaft und stets zur Stelle, wenn sie gerufen werden. Sie machen das, was sie tun, gerne, auch wenn sie hin und wieder nicht mehr helfen können. Und das kann man hören - und vor allem auch spüren.

Fahrzeuge in der Rettungswache Zerbst 1 Rettungswagen, 24 Stunden 1 Rettungswagen, 12 Stunden täglich von 7 bis 19 Uhr 1 Krankentransportwagen, Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr 1 Notarzteinsatzfahrzeug, täglich 24 Stunden 1 Rettungswagen, täglich 24 Stunden, stationiert in Deetz

Besatzungen der Einsatzfahrzeuge Auf einem Rettungswagen (RTW) sitzen immer mindestens ein Rettungssanitäter und ein Notfallsanitäter (alt Rettungsassistent). In einem Krankentransportwagen (KTW) ist die gleiche Besatzung bei Einsätzen unterwegs. In einem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) sitzen bei Einsätzen mindestens ein Rettungssanitäter und der diensthabende Notarzt.

Ausbildung der Besatzungen Die Ausbildungszeiten betragen beim Rettungssanitäter (RS) drei Monate (Lehrgang), beim Rettungsassistenten (RA) waren es zwei Jahre und wer Notfallsanitäter (NFS) werden möchte, muss eine dreijährige Ausbildung absolvieren.

Aufgaben am Einsatzort Kommt der Rettungsdienst beim Patienten an, kümmert er sich unter anderen um das Wiederherstellen, Sichern und Erhalten der Vitalfunktionen. Bis der Notarzt eintrifft, werden zum Beispiel ein 12-Kanal-EKG geschrieben, der Blutdruck, die Herzfrequenz und die Temperatur gemessen.

Fotos: Thomas Kirchner

 


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