12 Minuten in Gefahr: Ortswehr Moritz-Töppel-Schora vor dem Aus - Nur zwei Bürger kamen zur Einwohne
12 Min. in Gefahr: Ortswehr Moritz-Töppel-Schora vor dem Aus - Nur zwei Bürger kamen zur Einwohnerversammlung
Am Morgen des Maifeiertages bricht in Niederlepte auf einem Hof ein Brand aus. Als erste am Einsatzort waren die Wehren der umliegenden Orte. Ohne Ortswehr ist schnelles Handeln nahezu unmöglich. Foto: Thomas Kirchner
Zerbst/Moritz.I Stellen sie sich vor, bei ihnen bricht Feuer aus, im Haus, der Wohnung im Nebengebäude, sie sind in einen schweren Unfall verwickelt oder sie sind als Ersthelfer an einer Unfallstelle. Verletzte sind eingeklemmt und müssen befreit werden. Sie setzten den Notruf ab. Es vergehen zehn Minuten, 12, 15, aber die Feuerwehr lässt auf sich warten. Ein Alptraum für Betroffene und Beteiligte. Dieses Horror-Szenario wird wohl in naher Zukunft bei einem Ernstfall in und um die Gemeinden Moritz, Töppel und Schora Realität. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, steht die gemeinsame Freiwillige Ortswehr der drei Dörfer vor dem Aus.
Um dies doch noch abzuwenden, luden der Ortsbürgermeister, der Ortswehrleiter, die Stadtverwaltung und die Stadtwehrleitung der Einheitsgemeinde Zerbst am vergangenen Freitagabend zu einer Bürgerversammlung in das Gerätehaus der Wehr in Schora ein. Die Verantwortlichen hatten sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Alle Einwohner der drei Gemeinden, die für eine Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr in Frage kommen könnten, wurden angeschrieben und eben zu dieser Einwohnerversammlung eingeladen.
Das Ergebnis der Aktion ist eher ernüchternd. "Wenn ich mich hier umsehe, macht mich das traurig und betroffen", sagt Ortsbürgermeister Thomas Wenzel bei der Begrüßung. Gerade einmal zwei Bürger aus drei Ortschaften haben den Weg ins Gerätehaus Schora gefunden, um sich wenigstens über das Problem zu informieren. Alle anderen Anwesenden, sind bereits Mitglieder in verschiedenen Ortswehren.
Zwei interessierte Bürger sind gekommen. Alle anderen Anwesenden sind bereits Wehrmitglieder oder Verantwortliche. Foto: Thomas Kirchner
Ähnliche Veranstaltungen hat es bereits in Gehrden und Leps gegeben. Dort kamen um die 20 Einwohner. "Das sich nur zwei Einwohner aus drei Orten für ihre eigene Sicherheit interessieren, das schockiert mich jetzt doch", gibt Stadtwehrleiter Denis Barycza zu Beginn seiner Ausführungen zu. Dennoch, der Stadtwehrleiter und die anwesenden Verantwortlichen erläutern den beiden Männern, sowie den Kameraden das Problem.
In 12 Minuten am Einsatzort ohne Ortswehr nahezu unmöglich
Acht aktive Wehrmitglieder gibt es in der Ortswehr Moritz-Töppel-Schora derzeit noch. Etwas mehr als die doppelte Anzahl, nämlich 18 müssten es sein, um die Sollzahl einer funktionierenden Ortswehr zu erreichen, 12 um wenigstens ausrücken zu können. "Davon sind wir weit entfernt", erläutert Barycza.
Den meisten Bürgern sei wohl nicht bewusst, was die Auflösung der Ortswehr für Konsequenzen haben kann. Sollte es in einer der betroffenen Gemeinden zu einem Brand kommen, oder ein Verkehrsunfall passieren, wo die Kameraden der Wehr benötigt werden, sei die Vorgabe in 12 Minuten am Einsatzort zu sein, nicht mehr zu schaffen. "Auf der einen Seite trennt die Bahnlinie die drei Gemeinden von der Güterglücker Wehr. Kein Weg ohne Schranken, die nicht selten bis zu zehn Minuten geschlossen sind. Auf der anderen Seite die Zerbster Kameraden, für die es nahezu unmöglich ist, in 12 Minuten in Moritz, Töppel oder Schora zu sein", macht der Stadtwehrleiter eindringlich klar.
Selbst wenn bei einem Brand keine Menschenleben bedroht sein sollten, könne sich der erfahrene Feuerwehrmann kaum vorstellen, das auch nur ein Betroffener Verständnis für diese Verzögerung haben würde. "Sind Menschenleben in Gefahr, müssen aus Unfallwracks befreit, oder aus brennenden Gebäuden geborgen werden, geht es nicht um Minuten, nein, da geht es um Sekunden", warnt Barycza.
Sicher gäbe es auch hausgemachte Probleme die er nicht verschweigen wolle, zum Beispiel eine Ausbildung, die viel zu lange dauert. Von Ausbildungsbeginn bis zum Einsatz vergehen in der Regel drei Jahre, von Qualifizierungen beispielsweise zum Maschinisten oder Atemschutzgeräteträger ganz zu schweigen. "Im Übrigen ist die Ausbildung der Kameraden nicht mehr zeitgemäß, da müssen unbedingt neue Wege gegangen werden", erläutert der Stadtwehrleiter.
Die Zerbster Kameraden bei der Ausbildung in Grimme. Nick Tennert mit dem Trennschleifer, Mario Elz leistet Hilfestellung I Foto: Thomas Kirchner
Zudem sei dieses Ehrenamt mit einer hohen Verantwortung verbunden. Geht es nicht selten bei den Einsätzen um Leben und Tod. Das schrecke viele Menschen ab, sich in den Freiwilligen Wehren zu engagieren. "Anderseits sind die Ortswehren auch ein Motor in den Gemeinden, die Veranstaltungen organisieren und das Gemeinschaftsgefühl stärken", wirbt Barycza.
Es geht um die Sicherheit der Einwohner
Die Freiwilligen werden immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Das machte der Quecksilber-Einsatz der Zerbster Wehr kürzlich mehr als deutlich. Da sind die Grenzen zwischen der Freiwilligen - und der Berufswehr fließend. "Die Gefahr erkennen, handeln und beseitigen, da macht es keinen Unterschied ob freiwillig oder Beruf", bringt es der Stadtwehrleiter auf den Punkt.
Auch die Zerbster Ordnungsamtsleiterin Kerstin Gudella als Verantwortliche der Stadtverwaltung zeigt sich enttäuscht von der mehr als geringen Resonanz auf die Einladung. "Keiner will die Wehr schließen, doch in letzter Konsequenz wird uns nichts anderes übrig bleiben." Gudella appeliert an alle Anwesende im Raum: "Redet mit den Leuten, macht auf das Problem aufmerksam, versucht zu Überzeugen. Die Wehr lebt nur mit aktiven Kameraden, das muss den Menschen klar gemacht werden." Schließlich gehe es um die Sicherheit in ihren Heimatgemeiden, um ihr Hab und Gut, um Rettung von Menschenleben.
Wenn sich in den nächsten Wochen und Monaten das Blatt nicht wendet, lässt sich die Schließung der Ortswehr Moritz-Töppel-Schora wohl kaum noch verhindern. Eine allerletze Möglichkeit gäbe es noch, die Zwangsverpflichtung von Bürgern. Diesen Weg wolle man aber nicht gehen, denn nur wer sich freiwillig dieser großen Verantwortung stellt, ist auch wirklich bereit als ehrenamtlicher Kamerad anderen Menschen zu helfen. Da erreiche man mit Zwang wohl gar nichts, da sind sich alle Verantwortlichen einig.
Feuerwehr ist mehr als das Löschen von Bränden. Die Zerbster Kameraden bei der Ausbildung in Grimme. Übung der Feinmotorik, Hans Jürgen Borchers manövriert unter den Augen des Ausbilders Sebastian Fonfara den Reifen über das Hütchen.
Foto: Thomas Kirchner