98 rollende Reifen durch den Osten Deutschlands I Seit 120 Jahren ist die Familie Sobczyk Schaustell
98 rollende Reifen durch den Osten Deutschlands -Schausteller-Familienbetrieb Sobczyk aus Magdeburg ist seit 1896 zum Vergnügen der Menschen unterwegs-
Von Thomas Kirchner
Seit 120 Jahren ist die Familie Sobczyk Schausteller mit Leib und Seele. Wie hat alles angefangen? Wie ist das Schaustellerleben? Wie ist es immer unterwegs zu sein, von Stadt zu Stadt? Die Familie gewährt einen kleinen Einblick in das Leben eines Schaustellers...
Schaustellerfamilie Sobczyk I (Hinten von links) Oma Ilse Sobczyk, Omas beste Freundin Gitta Meier, Patentante Tracy Drechsler mit klein Liz (Tochter von Nancy Sobczyk) Vorne von links: Tochter Nancy Sobczyk, Mutter Silke Sobczyk, Vater Holger Sobczyk I Foto: Lydia Kulot
Holger Sobczyks Augen leuchten wenn er von seiner Arbeit spricht. Die Familie liebt das was sie tut. "Wir sind bereits seit 1896 als Schaustellerfamilie unterwegs, ununterbrochen, ohne Pleite, selbst im Krieg." fängt Holger Sobczyk stolz an zu erzählen. "Im Krieg?" "Ja im Krieg. Wo keine Kämpfe waren und es ruhig war, ist die Oma unterwegs gewesen."
"Angefangen hat alles mit einer Bonbon-Kocherei bei den Großeltern. Später kam ein Karussell dazu, zum Anschieben." berichtet er. "Ich habe das Karussell als Kind und Jugendliche noch geschoben, per Hand." wirft Oma Ilse Sobczyk ein.
Später hatten Oma Ilse und ihr Mann eine Mandelbrennerei. Die gab es nur zwei Mal in der DDR. Die andere stand wohl im Berliner Plänterwald. "Aber bald gab es keine Mandeln mehr. Die wurden zu DDR-Zeiten zugeteilt, denn Mandeln mussten für Devisen eingekauft werden." erinnert sich Holger Sobczyk. "Dann schwenkten die Eltern um auf Spielautomaten, ein Kettenkarussell und eine Walzerfahrt."
Er selbst musste eine Lehre absolvieren ehe er in das Schaustellergeschäft einsteigen durfte. Da bestanden die Eltern drauf. Das Familienoberhaupt hat dann eine 3jährige Ausbildung zum Betriebsschlosser absolviert incl. mehrere Schweißerpässe. Mit 20 Jahren hatte Holger Sobczyk dann sein erstes eigenes Geschäft. Ringe werfen und kandierte Äpfel.
"Nach der Wende haben wir dann wieder mit den Mandeln angefangen, doch die wollte da keiner mehr im Osten. Mandeln kauft man doch nur zu Weihnachten, hat uns die Kundschaft gesagt. Da haben wir das Geschäft mit den kandierten Äpfeln ausgebaut, verschiedene Sorten, haben Lebkuchenherzen und Haribo ins Sortiment aufgenommen. Kurzzeitig lief das Geschäft nach der Wende eher schlecht. Doch das erholte sich schnell wieder. 1991 kam dann die eigene Mandelbrennerei mit 15 verschiedenen Sorten an Nüssen und Mandeln wieder dazu. Das Brennen übernehmen nur meine Frau und ich." betont er.
Chefin Silke Sobczyk vor ihrer Mandelbrennerei I Foto: Lydia Kulot
1996 kauften Holger und Silke Sobczyk dann den "Break Dancer", nagelneu aus dem Werk der Firma Huss aus Bremen. Das Schmuckstück bedienen wiederum nur Sohn Bryan, Tochter Nancy und der Chef selbst. Da muss alles passen, gerade für die Jugend, die Musik, das Licht und vor allem das Rekommandieren (Ansagen, Sprüche die die Gäste zum Mitfahren animieren sollen). Da überlassen die Profis nichts dem Zufall.
Foto: Lydia Kulot
Foto oben: Der ganze Stolz der Familie. 1996 nagelneu erworben, der "Break Dancer" gebaut von der Fa. Huss aus Bremen. Foto: Lydia Kulot I Bryan im Fahrstand des Break Dancer I Foto: Fam. Sobczyk
9 Transporte, insgesamt 98 rollende Reifen sind beim Umsetzten von Platz zu Platz nötig. Das übernehmen sie zu dritt, der Vorarbeiter, der Junior Chef und der Chef.
"Ein Mal im Jahr muss das Baby zum TÜV. Da werden beispielsweise die Gondelaufhängungen geschallt und geröntgt. Das alles wird protokolliert. Die Sicherheit unserer Fahrgäste steht immer an erster Stelle. Kleinere Reparaturen wie schleifen, streichen oder das Umgestalten der Deko, des Lichts oder der Kugeln machen wir alles selbst. Wir haben dafür eigens einen Werkstattwagen. Zum streichen der Metallböden benutzen wir zum Beispiel Autolack, der ist sehr strapazierfähig."
Familienoberhaupt Holger Sobczyk in seinem Werstattwagen. Kleinere Reparaturen und Anstreicharbeiten erledigt die Mannschaft selbst I Foto: Lydia Kulot
100 bis 130 Bewerbungen verschicken Familie Sobczyk für verschiedene Festplätze in den Ost-Ländern für das Jahr. Davon kommen etwa 18 bis 25 Verträge zu Stande. Richtig gut läuft es, wenn am Ende eines Jahres die Verträge für das kommende Jahr unterschrieben sind.
"Können Sie sich vorstellen etwas anderes zu machen? Brötchen beim Bäcker verkaufen zum Beispiel?" "Ich verkaufe was du willst, Hauptsache es sind Räder drunter und ich muss nicht an einem Ort bleiben." antwortet Mutter Silke ohne nachzudenken. Sie kann sich nicht vorstellen etwas anderes zu machen wie Schausteller. "Sicher gibt es Tage wo wir fluchen und meckern, am hyperventilieren sind. Aber das ist schnell wieder vorbei."
Mutter Silke ist auch die Köchin der Mannschaft. Täglich für 10 Leute kocht die Chefin. "Am Tag des Umsetzens gibt´s Nudeln mit Tomatensauce zum Mittag, auch wenn es erst am Abend ist. Das ist Tradition und Gesetz zu gleich, und es geht am schnellsten." lacht sie und zeigt uns die Küche.
Mutter Silke Sobczyk kocht täglich für die 10köpfige Schausteller-Crew. I Foto: Lydia Kulot
So sieht es auch Tochter Nancy. Nancy hat eine Ausbildung zur MTA am Uni-Klinikum in Magdeburg absolviert. Sie hätte auch in verschiedenen Positionen übernommen werden können, oder studieren können. Das alles hat Nancy Sobczyk nicht gereizt. "Sie ist uns während der Ausbildung schon in jeder freien Minute nach gefahren." lacht Vater Holger.
Vater Holger vor dem Automatengeschäft von Bryan Sobczyk I Foto: Lydia Kulot
Auch für Sohn Bryan kam keine andere Tätigkeit in Frage. Im Gegenteil. Es gab nur den Schaustellerberuf. Etwas anderes stand nie zur Diskussion. "Die Kinder wachsen da hinein. Sie kennen das von klein auf. Wir haben sie nie gedrängt oder gar gezwungen in unsere Fußstapfen zu treten. Beide haben jetzt auch eigene Geschäfte."
Bryan Sobczyk im Fahrstand des Break Dancer I Foto: Fam. Sobczyk
"Zu Hause? Zu Hause sind wir auf den Festplätzen, zu 98% im Osten Deutschlands. Nein im Ernst. Zu Hause in Magdeburg sind wir ab Anfang November. Da ist aber noch keine Ruhe. Da stehen wir auf dem Weihnachtsmarkt. Da beginnen dann der Aufbau und die Vorbereitungen. Schlafen tun wir dann aber im Haus unserer Oma Ilse, das unser zu Hause ist. Nach dem Weihnachtsmarkt Anfang Januar ist dann Ruhe, bis dann Anfang März alles von vorn beginnt." antwortet Holger Sobczyk auf die Frage wann sie denn mal zu Hause seien.
"Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich bei der Stadt Zerbst bedanken, dass wir seit mehreren Jahren den gewohnten Platz einnehmen können. Seit nunmehr 24 Jahren kommen wir nach Zerbst. Im übrigen ist das in diesem Jahr ein außerordentlich schön gemischter Festplatz. Viele Fahrgeschäfte, für jeden Geschmack etwas dabei." will Holger Sobczyk noch los werden.
Seit mehreren Generationen ist die Schaustellerfamilie Sobczyk für das Vergnügen anderer Menschen jetzt unterwegs. Und so schnell wird sich das wohl auch nichts ändern, denn die jungen Sobczyks stehen nicht nur in den Startlöchern, sie haben die Startlinie längst überschritten.
Stolz zeigt der Chef die Technik des 'Break Dancer'. Rechts im Schaltschrank die Elektronik für den Betrieb des Break Dancer und links die für die gesamte Beleuchtung. I Foto: Lydia Kulot
Der originale Nachbau im Modell, den Holger Sobczyk von Freunden geschenkt bekommen hat. I Foto: Lydua Kulot
Vater Holger vor dem Automatengeschäft von Bryan Sobczyk I Foto: Lydia Kulot